Hermann Bueren: „Bewegt Euch Schneller!“ Zur Kritik moderner Managementmethoden.

Sachliteratur

Von Moden ist bekannt, dass sie kommen und auch wieder gehen. Ein im Frühjahr gekauftes T-Shirt oder ein Sommerkleid können schon im nächsten Jahr wieder „out“ sein, wenn eine neue Modekollektion in die Läden kommt.

Hermann Bueren: „Bewegt Euch Schneller!“.
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Hermann Bueren: „Bewegt Euch Schneller!“. Foto: Mario Sixtus (CC BY-NC-SA 2.0 cropped)

30. März 2022
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Korrektur
Auch Managementmethoden eilt der Ruf voraus, es handele sich bei ihnen um eine Modeerscheinung. Für diese Einschätzung spricht die Tatsache, dass sich schon seit einigen Jahrzehnten in den Unternehmen eine ständige Abfolge von Methoden beobachten lässt: Qualitätsmanagement und Business Reengineering prägten die 1980er, Kontinuierliche Verbesserungsprozess und Lean Management die 1990iger Jahre. Seit der Jahrtausendwende dominieren Zielvereinbarungen und Agile Unternehmensführung die Methodendiskussion

Was unter einer „agilen Unternehmensführung“ oder „agiler Team- und Projektarbeit“ zu verstehen ist, thematisiert das Buch „Bewegt Euch schneller!“ von Hermann Bueren. Das Zitat des Buchtitels stammt von Hasso Plattner, Mitgründer und Vorsitzender des Aufsichtsrats von SAP, ein Unternehmen, das weltweit zu den grössten Softwarekonzernen zählt. Er richtete diese unmissverständliche Aufforderung an die im Walldorfer Stammsitz des Konzerns arbeitenden Beschäftigten und bringt in diesen drei Worten auf den Punkt, was das Buch als den Kern agiler Arbeit und Managementmethoden betrachtet: Das Einfordern höher Leistung der Beschäftigten und eine Beschleunigung der Arbeitsprozesse. Möglichst in Echtzeit auf Kunden und Märkte zu reagieren – das ist der Wunsch der agilen Unternehmen, das ist der Erwartungs- und Leistungsdruck, mit dem die Beschäftigten konfrontiert sind.

Wie das geschieht und zu welchen Belastungen und Konflikten agile Arbeits- und Managementmethoden führen, wird in diesem Buch aus der Perspektive der Beschäftigten dargestellt. Der Autor, ehemaliger Geschäftsführer einer arbeitnehmernahen Bildungseinrichtung, versteht Agilität nicht als ein fertiges Handlungsrezept und schon gar nicht als eine modische Erscheinung. Vielmehr handele es sich dabei um einen tiefgreifenden Umbruch in der kapitalistischen Arbeitsorganisation, dessen Auswirkungen bis hinunter auf die Ebene der Arbeitssituation einzelner Beschäftigter und der Organisation von Teams und Projekten reiche.

Das falsche Versprechen der Agilität

Den Anstoss für agile Konzepte gaben demnach nicht Unternehmensleitungen oder Management, sondern Beschäftigte aus der IT-Industrie, die als erfahrene Projektleiter in der Software- Entwicklung arbeiteten. Ihre Kritik an der komplexen und krisenanfälligen Arbeitsweise von Projekten formulierten sie in einem Manifest (www. Agile manifesto.de), das weltweit Verbreitung fand und als ein Aufruf zur Schaffung einer innovativen und produktiven Arbeitskultur verstanden wurde. Eingefordert wurde der Vorrang der eigentlichen Arbeitstätigkeit – das Entwickeln von Software – gegenüber anderen Aspekten der Arbeit. Im Verständnis der Verfasser des Manifests sollte Entwicklertätigkeit in einem massvollen („sustainable“) Tempo erfolgen, das sich an den individuellen Fähigkeiten der einzelnen EntwicklerInnen orientiert. Auch oberes und mittleres Management in den grossen IT-Konzernen erkannten sehr schnell die Vorteile einer agilen Arbeitsorganisation. Das iterative Vorgehen und die Verkürzung von Taktzeiten in einer agilen Arbeitsorganisation versprach grössere Produktivität, ein effizienteres Arbeiten in den Projekten und eine schnellere Auslieferung von Software an den Kunden.

Was vor ca. 20 Jahren in der Software-Entwicklung seinen Anfang nahm, hat inzwischen auch in anderen Branchen Einzug gehalten hält. Nicht nur in Banken, Versicherungen und Industrie sind agile Arbeitsstrukturen verbreitet, auch in Kommunen und Verwaltungen gründen sich Kreise und Foren, die unter dem Banner der Agilität eine Umstrukturierung der Arbeitsprozesse in Dienststellen und Verwaltungseinheiten anstreben.

Treiber dieser Entwicklung sind schon lange nicht mehr die Beschäftigten, sondern unterschiedliche Netzwerke, die im Buch als Agile Community bezeichnet werden. Dazu zählen Managementkreise, die Human-Resource-Abteilungen grosser Konzerne, einige Stiftungen und ein unübersehbares Heer von Unternehmensberater:innen. Sie verstehen unter Agilität ein Konzept, dass für Beschäftigte und Unternehmen gleichermassen positiv ist. Werde es umgesetzt, so lautet ihr Credo, hätten die Beschäftigten grössere Freiräume in ihrer Arbeit. Teams und Projekte könnten selbstorganisiert und eigenverantwortlich mit Kunden und Auftraggebern zusammenarbeiten. Die Unternehmen hingegen könnten ihre Wettbewerbsfähigkeit sichern und Bedürfnisse von Märkten und Kunden besser berücksichtigen.

Versprechungen dieser Art finden sich häufig, wenn neue Management -und Arbeitsmethoden in den Unternehmen Einzug halten. Im Sprachgebrauch des Managements werden sie als Win-to-Win-Situationen bezeichnet: Alle gewinnen, alle haben Vorteile! Das vorliegende Buch zeigt, dass von diesen Vorteilen der modernen Managementmethoden bei den Beschäftigten nichts oder nur wenig ankommt.

Kritik und Konflikte

Unter Managementmethoden versteht das Buch konkret darstellbare Massnahmen, die sich auf einzelne Beschäftigte und arbeitende Teams richten und die Steigerung von Leistung und Motivation zum Ziel haben. Auch wenn Namen und Inhalte sich immer wieder ändern, handele es sich bei diesen Methoden nicht um modische Produkte mit begrenzter Haltbarkeit. Vielmehr stelle die Praktizierung dieser Methoden eine tägliche Pflichtaufgabe der Eigentümern und ihrem Managemen. Denn wenn das Unternehmen Profit erzielen soll, muss menschliches Arbeitspotential in Arbeitsleitung beziehungsweise in tatsächlich geleistete Arbeit umgewandelt werden.

Dazu muss die Zusammenarbeit der Beschäftigten organisiert und ihr Leistungsverhalten gesteuert werden. Dabei bezieht sich der Autor auf die marxistisch geprägte „Labor process“-Debatte, die diesen Vorgang als Transformation begreift, der stets neue Methoden schöpfen muss, damit die Beschäftigten für die Gewinninteressen des Unternehmens eingespannt werden können. Karl Marx bezeichnet dies „als Subsumtion der Arbeit unter das Kapital“. Erst durch diese Unterordnung, schreibt er weiter, bemächtige sich das Kapital „unmittelbar des Arbeitsprozesses.“

Die dafür zurzeit „angesagten“ Methoden stellt das Buch Kapitel für Kapitel vor, angefangen von agilen Arbeitsformen (wie Scrum- und Projektteams), Zielvereinbarungen, Leistungsbeurteilungen in Mitarbeitergesprächen, über kollegiale Führungskonzepte mit selbstführenden Teams bis hin zu Initiativen zur Aktivierung leistungsförderlicher Gefühle unter den Beschäftigten. Sogar die Aktivitäten der Unternehmen zur Büro- und Innenraumgestaltung, die unter dem Label „New Work“ laufen und auf die Inszenierung einer Wohlfühlatmosphäre abzielen, damit die Beschäftigten bei ihrer Arbeit sich wie zu Hause fühlen, werden mit einem Kapitel bedacht.

Die Kapitel sind dreigliedrig aufgebaut. Der erste Teil stellt die jeweilige Managementmethode vor und beleuchtet den (pseudowissenschaftlichen) Diskurs um diese Methode. Als Quellen dienen Managementratgeber, Webseiten von Unternehmensberatungen und Literatur, die sich an Vorgesetzte und Führungskräfte richtet.

Teil zwei des jeweiligen Kapitels blickt aus einer historischen Perspektive auf die jeweilige Methode und erläutert ihre Entstehung und Wandlung im Rahmen der kapitalistischen Arbeitsorganisation. Einen breiten Raum nimmt dabei die Darstellung von Kritik und Widerständigkeit der Beschäftigten als Reaktion auf die durch Managementmethoden ausgelösten Veränderungen in der Arbeitsorganisation ein. Der dritte Teil diskutiert in jeweils mehreren Thesen die Auswirkungen von Managementmethoden und setzt sie in Bezug zu Arbeitssituation und Arbeitsbedingungen der Beschäftigten. Dabei verzichtet das Buch auf eine „neutrale“, scheinbar objektive Darstellung des Für und Wider dieser Methoden, wie sie üblicherweise unter dem Stichwort „Win-to-Win-Situation“ erfolgt, sondern bezieht eindeutig Stellung auf Seiten der Beschäftigten.

Zwei Gastbeiträge beenden diesen Teil. Ralf Pieper, Autor zahlreicher Kommentare zum Arbeitsschutzrecht und Chefredakteur einer Fachzeitschrift für menschengerechte Arbeitsgestaltung, erläutert die rechtlichen Rahmenbedingungen der betrieblichen Arbeitsorganisation. Er stellt die Rechtsgrundlagen der Gestaltung von Arbeitsprozessen vor und erläutert, wie daraus resultierende Gefährdungen der Beschäftigten vermindert werden können. Am Beispiel von datenbasierter Personalarbeit (people analytics, algorithmic management) gibt Michael Bretschneider-Hagemes einen kurzen Ausblick auf digitalisierte Methoden der Organisation von Arbeitskraft im Rahmen von Künstlicher Intelligenz.

Der „stumme Zwang“ der neuen Arbeitsmethoden

So unterschiedlich die vorgestellten Methoden dieses Handbuchs sind, so stimmen sie in einer Hinsicht überein: Sie verzichten zumeist auf Bestrafungen, Lohnkürzungen oder Kündigungen, wie sie noch vor hundert Jahren zu Zeiten des Manchesterkapitalismus üblich waren. Stattdessen setzen die „neuen“ Methoden auf Vereinnahmung der Beschäftigten und erwarten von diesen eine bedingungslose Verfügungsbereitschaft. Verlangt wird stille Akzeptanz, ein Zustand, den Karl Marx den „stummen Zwang der Verhältnisse“ nennt.

Doch dieses Vorgehen stösst bei den so Beteiligten nicht auf ungeteilte Zustimmung. Sie wehren sich gegen die Einführung immer neuer Arbeitsweisen und Methoden, die permanenten Druck zur Beschleunigung von Leistung und Anpassung des eigenen Arbeitsverhaltens ausüben. Manche tun dies offen, viele wehren sich verdeckt gegen diese Zumutungen „von oben.“ Sie entwickeln eigene Formen von Beharrung und Abwehr, die eher selten in das Blickfeld der Öffentlichkeit geraten. Das Buch zeigt anhand vieler Beispiele und Begebenheiten die Bedeutung dieser widerständigen Reaktionen als wiederkehrendes Motiv der Beschäftigten.

Diesen Widerständigkeiten widmet der Autor das Schlusskapitel. Er begreift diese nicht nur als abwehrende oder oppositionelle Reaktionen gegen die Zumutungen des Managements. Vielmehr versteht er sie als Suchbewegungen, die eine andere Form des Arbeitens jenseits einer kapitalistisch gefassten Organisation der Arbeit anstreben. Wie diese Alternative aussehen könnte, skizziert das Kapitel in Gestalt einer auf Selbstverwaltung beruhenden Arbeitsorganisation, die auf Erfahrung und Wissen der Produzenten basiert.

Stefan Konrad

Hermann Bueren: „Bewegt Euch Schneller!“. Zur Kritik moderner Managementmethoden. Ein Handbuch. Kellner Verlag Bremen, März 2022. 200 Seiten, ca. 19.00 SFr. ISBN 9783956513329